Offener Brief an die Stadt Tübingen, Tübinger Hotelbetreiber*innen und alle Menschen, die in irgendeiner Form leerstehenden Wohnraum besitzen
„Stay at home!“ Ein wichtiger Aufruf, welcher jedoch nicht für alle Menschen umsetzbar und auch mit unterschiedlichen Gefahren verbunden ist.
In Zeiten der Corona-Pandemie wird von Seiten der Regierungen dazu aufgefordert, dass alle Menschen zu Hause bleiben sollen. Dieser Appell ist vor dem Hintergrund der akuten und für manche Menschen lebensbedrohlichen Virus-Infektion nachvollziehbar und notwendig, um einen Anstieg der Infektionen einzudämmen und damit Leben zu schützen.
In unserer Gesellschaft sind Privilegien jedoch höchst unterschiedlich verteilt. Unter anderem muss dabei an unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zu Informationen, zu sicherem Wohnraum und zu sozialer und emotionaler Unterstützung genauso gedacht werden wie an das unterschiedlich verteilte Privileg finanzieller Unabhängigkeit bzw. Abhängigkeit. Darüber hinaus hat nicht jeder Mensch überhaupt die Möglichkeit, etwas „ein Zuhause“ nennen zu können. Deshalb kann die Aufforderung „Stay at home“ oder „Bleiben Sie Zuhause“ unmöglich für sich alleine stehen bleiben. Sie reflektiert die bestehenden ungerechten und menschenverachtenden gesellschaftlichen Umstände nicht.
Umstände, in denen obdachlose Menschen nicht „zu Hause“ bleiben können, um andere zu schützen und im Umkehrschluss auch von anderen beschützt zu werden, da sie keinen sicheren Wohn- und Rückzugsraum haben.
Umstände, in denen Frauen* und Kinder patriarchaler Gewalt ausgesetzt sind. Diese wird nun durch die Isolation im (scheinbar) privaten Raum noch einmal verstärkt und noch unsichtbarer, als es bereits eh schon der Fall war.
Umstände die es billigen, dass flüchtende Menschen in Sammelunterkünften eingesperrt sind, in denen es gar nicht möglich ist, den notwendigen Sicherheitsabstand einzuhalten, um sich selbst und andere zu schützen.
Anhand dieser Beispiele soll deutlich werden, wie prekär die Situation für manche Menschen innerhalb unserer Gesellschaft ist und wie drastisch diese durch die aktuelle Pandemie nochmals verstärkt wird. Wir sind uns bewusst, dass nicht nur die oben genannten Personengruppen, sondern viele weitere Personen, die nicht den gleichen Zugang zu den bereits angesprochenen Privilegien haben, von dieser Pandemie in besonderer Art betroffen sind. Diese Umstände sind für die betroffenen Personen real und unerträglich.
Viel wird diese Tage über Solidarität gesprochen. Für unser Verständnis von Solidarität gehört dazu, diese Umstände zu reflektieren, sie als menschenverachtend und ausgrenzend anzuerkennen und Lösungen zu erdenken, die den betroffenen Personen unmittelbar helfen.
Wir fordern deshalb die Stadt Tübingen und die Betreiber*innen von Hotels, airbnb-Wohnungen oder anderen Unterkünften mit freien Betten dazu auf, ihre nun leerstehenden Räume für Menschen zur Verfügung zu stellen, die innerhalb dieser Zeiten unseres besonderen Schutzes bedürfen.
In anderen Städten Europas ist dies bereits geschehen!
Wir fordern darüber hinaus die Einrichtung einer Kontaktstelle seitens der Stadt Tübingen, die betroffene und schutzsuchende Personen an die jeweiligen Unterkünfte vermittelt und ihren Schutz u.a. durch entsprechende professionelle Unterstützung sicherstellt.
Lasst uns Solidarität ernst nehmen und nicht zu einer unbedeutenden Phrase werden!
Unterzeichner*innen:
about:utopia
Wohnraumbündnis Tübingen
Interventionistische Linke [IL*] Tübingen
Epplehaus
Frauen*gruppe Zumutung
Ernst-Bloch-Universität Tübingen (Hochschulgruppe)
Ende Gelände Tübingen
Initiative Neustart Tübingen
Fridays for Future Tübingen
Offenes Treffen gegen Faschismus und Rassismus Tübingen und die Region
adis e.V. – Antidiskriminierung · Empowerment · Praxisentwicklung
Tübinger Arbeitslosentreff (TAT e.V.)
Awareness-Team
Kupolis e.V.
Bündnis Bleiberecht
Jugendgemeinderat Tübingen
Lu15
4-Häuser-Projekt
Schellingstraße 6
Tübinger Linke – TÜL
Gisela Kehrer-Bleicher, Kreisrätin der TÜL
Heike Hänsel, MdB „Die Linke“
Gudrun Dreher, Kreisvorstand „Die Linke“
Kreisverband „Die Linke“
Gemeinderatsfraktion „Die Linke“