Redebeitrag anlässlich der Kundgebung am 12. Januar 2020 gegen die Abschiebung Bilal Waqas

Ich darf hier heute im Namen der Tübinger Gruppe about:utopia sprechen.

Und wir sind bestürzt und traurig aber auch wütend über dieses politisch gewollte und zutiefst gewaltsame Auseinanderreißen von miteinander verbundenen, ein Leben teilenden, Menschen.

Zugleich finden wir Kraft und einen Funken Hoffnung, wenn wir sehen, wie solidarisch die Mitarbeiter*innen des Landestheaters ihrer Kollegin und deren Ehemann zur Seite stehen.

Denn so erträumen wir uns gesellschaftliches Miteinander. Probleme von einzelnen Menschen dürfen nicht als deren private Angelegenheiten in den Schatten der Öffentlichkeit gedrängt werden. Das Private existiert nicht; die Gesellschaft steht immer schon mit mindestens einem Fuß in der Tür.

Und das Private existiert schon gar nicht, wenn es um die strukturell angelegte und menschenverachtende Praxis von Abschiebungen geht. Denn die Brutalität, die sich am 7. Januar hier direkt bei uns vor Ort ereignet hat, ist kein Einzelfall. Nach Schätzungen von Pro Asyl müssen im Jahr 2019 über 20.000 Abschiebungen in Deutschland durchgeführt worden sein. Das heißt, tausende von Familien, Freund*inen und Beziehungen wurden aus dem Nichts von deutschen Polizist*innen auseinander gerissen und tausende von Menschen wurden völlig schonungslos in andere Länder verschleppt.

Die Forderung nach sogenannten „konsequenten Abschiebungen“ ist längst keine mehr, die nur aus Rechten Reihen heraus ertönt. Auch Politikerinnen demokratischer Parteien reihen sich dort mittlerweile ein. Und gerade aus dem Tübinger Rathaus schallt es laut heraus: „Wir können nicht allen helfen!“. Aber was heißt das eigentlich, dieses „wir können nicht allen helfen“. Wenn wir uns an solche Sätze halten, bedeutet das, wir geben wichtige Grundsätze des sozialen Miteinanders zugunsten sogenannter Sachzwänge auf. Wir entscheiden uns dafür, ein offensichtlich nicht funktionierendes Wirtschaftssystem beizubehalten. Ein Wirtschaftssystem, das auf Profitmaximierung und Konkurrenz basiert; das kalte Vereinzelung fördert, die Umwelt zerstört und Flucht systematisch herbeiführt. Und nicht zu vergessen: Ein Wirtschaftssystem, das nicht ohne dessen Verstrickung mit Kolonialismus und Rassismus gedacht werden kann und darf!

Grundlegend für jede Form von Demokratie ist, dass wir Verantwortung füreinander übernehmen und allen ein sicheres und gutes Leben ermöglichen. Die Fragen dürfen deshalb nicht lauten: Wer darf bleiben, wie viele dürfen kommen oder wie können wir Abschiebungen humaner gestalten. Denn diese Fragen strotzen nur so vor menschenverachtendem Zynismus.

An erster Stelle muss stehen: Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um allen zu helfen, die Hilfe benötigen. Und, wenn das unter den herrschenden gesellschaftlichen Strukturen nicht gut möglich ist, dann dürfen auf keinen Fall Abstriche in der Empathie oder der Solidarität gemacht werden. Dann müssen wir uns alle gemeinsam fragen: Wie können wir die Strukturen verändern? – und das über die konstruierten Grenzen der Nationalstaaten hinaus.

Deshalb schließen wir uns der Forderung nach einem absoluten Abschiebestopp an!

Und wir fordern darüber hinaus, ein aktives Suchen und Ausprobieren von anderen Gesellschaftsentwürfen. Entwürfe, die den Menschen beides ermöglichen: dort zu bleiben, wo sie bleiben möchten und dorthin zu gehen, wo sie sich sicher fühlen und wo ein erfüllendes Leben möglich ist.

Und zum Abschluss möchten wir unseren solidarischen Dank aussprechen: An alle, die heute gekommen sind und an alle, die seit Jahren sichtbare und unsichtbare Beiträge dazu leisten, dass solche Entwürfe hoffentlich irgendwann Wirklichkeit werden.

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